Die wohl bekannteste Persönlichkeit der katholischen St. Joseph Gemeinde war Pfarrer Ludwig Kirsch.
1891 in Dresden geboren, war er in dieser Gemeinde Priester und Seelsorger in der schweren Zeit des Nationalsozialismus, des II. Weltkrieges und des beginnenden Wiederaufbaus. Er war politisch engagiert und Mitbegründer der CDU in Chemnitz.
Ludwig Kirschs Vater Vater Alexander Kirsch, geb. 22.8.1852 war jüngstes von 5 Kindern des Dresdner Gold- und Silberarbeiters Carl Leberecht Kirsch. Alle männlichen Nachkommen traten beruflich in die Fußstapfen des Vaters. Die Familie Kirsch war evangelisch Alexander war 1882 ans Wendische Seminar in Prag gekommen, musste also vorher das kath. Progymnasium in Dresden besucht haben um dorthin zu kommen. Wann er zum katholischen Glauben konvertierte ist nicht bekannt. Er studierte auch nicht am Karolinum, sondern wollte sich den Benediktinern im Kloster Emmaus zu Prag anschließen, blieb aber nicht lange dort. Für 1887 ist in Dresden die Ausstellung seinen Gewerbescheines als Gold- und Silberarbeiter vermerkt. Dafür musste er aber seinen Meister gemacht haben – wann und wo ist nicht bekannt |
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Am 26.05.1890 heiratet Alexander Kirsch die Tochter eines Schuhmachers - Fräulen Hedwig Gebel in der katholischen Kirche St. Trinitatis in Dresden (Hofkirche). Kurz nach der Hochzeit zog das Paar in die Johannisstraße 13 |
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Dresdner Kathedrale (Hofkirche) |
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Am 9.12.1891 erblickte das einzige Kind des Paares um 13:45 das Licht der Welt – zu Hause, so wie das damals halt üblich war. Am 13.12.1891 wurde der kleine Sohn in der Hofkirche auf den Namen Anselm Ludwig Alexander Kirsch getauft. Die Taufpaten waren Ludwig de Lasalle – ein Freund des Vaters und Mitschüler am Wendischen Seminar in Prag und Clara Knoche, wahrscheinlich eine Schwester der Mutter
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Taufstein in der Dresdner Kathedrale (Hofkirche) |
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Ob der Vater in der Johannisstraße 13 ein eigenes Geschäft hatte, wird aus dem Adressbuch nicht ganz offensichtlich. Er war aber in der Goldschmiede-Gilde organisiert, in der sein älterer Bruder Vorsitzender war. Leider ist kein Bild vom Wohnhaus der Kirschs vorhanden, aber ein Blick auf den Pirnaischen Platz, der gleich um die Ecke war, zeigt das Wohnumfeld der Familie. Die ganze Innenstadt Dresdens wurde 1945 völlig zerstört und die Johannisstraße verschwand beim Neuaufbau der Stadt.
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Pirnaischer Platz |
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Im Wohnumfeld der Familie Kirsch gab es nur zwei evangelisch geprägte Schulen. Da die Eltern aber sehr katholisch waren wird er sicher in eine Katholische Schule, die in ca 1,4km Entfernung lag, Ostern 1898 eingeschult worden sein. 1902 wechselte er an das katholische Progymnasium Dresden in der Schloss-Straße.
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Dresden Schloss-Strasse |
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Auch dieses Gebäude wurde 1945 zerstört. Heute steht dort ein Hotel, mit einer Erinnerungstafel an das ehemalige "Geistliche Haus", in dem auch das Katholische Progymnasium untergebracht war. |
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Erinnerungstafel am "Swissôtel" |
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1904, im Alter von 13 Jahren, trat Ludwig Kirsch in das Wendische Gymnasium Prag ein. Dieses Gymnasium auf der Prager Kleinseite stellte eine Art sächsisch–katholische Enklave dar, da eine Priesterausbildung im Land Sachsen auf Grund der geschichtlichen Entwicklung nicht möglich war. |
ehemaliges Wendisches Gymnasium in Prag |
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Nach dem Abschluss mit einem ausgezeichneten Abitur wurde er an der Karolina, der altehrwürdigen Karlsuniversität, immatrikuliert und begann 1910 sein Studium der Theologie. |
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Karlsuniversität |
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Hier tratt er der Katholischen Deutschen Studentenverbindung V.D.ST.V. Ferdinandea (im CV) bei, der er ein Leben lang treu blieb und damit letztlich die Brücke zur Gründung der KSG (Katholische Studentengemeinde) schlug, die die CV-Traditionen weiterführte. |
Ludwig Kirsch in der Studentenverbindung |
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1913 wechselte er ans Priesterseminar Paderborn, wo er das Studium abschloss. |
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Priesterseminar in Paderborn |
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Am 3. August 1914 erhält er in Paderborn die Priesterweihe durch Bischof Karl Joseph Schulte. In diese Zeit fällt die Kriegserklärung Deutschlands an Russland am 1.August und an Frankreich am 3. August 1914
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Weitere Mitstudenten wurden zu Priestern geweiht
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Wenige Tage nach der Priesterweihe hielt Kirsch die Primiz in der Dresdner Hofkirche. |
Dresdner Hofkirche |
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Kurze Zeit später trat Kirsch seine erste Stelle als Kaplan in der Leipziger Liebfrauengemeinde im Stadtteil Lindenau an. Der erste Weltkrieg, dem viele noch euphorisch gegenüber standen, hatte eben begonnen, als er in dieser Gemeinde seelsorgerische Aufgaben übernahm. Es war eine der typischen Arbeitergemeinden dieser Zeit. Der Krieg und die daraus resultierenden sozialen und seelischen Nöte der Gemeindemitglieder prägten Ludwig Kirsch und weckten sein Interesse an Politik und sozialem Engagement. |
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Liebfrauenkirche Leipzig-Lindenau |
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Er begann seine Predigten aufzuschreiben. Eine Eigenschaft, die er bis 1945 beibehielt. Diese Schriften sind bis auf wenige Ausnahmen im Archiv Ludwig Kirsch erhalten.
Seine erste Predigt endete mit den Worten: „Wenn die Herzen unserer Krieger draußen nach und nach so stahlhart geworden sind, wie die eisernen Waffen in ihren Händen, so sei es unsere Sorge daheim, ein weiches, mitfühlendes Herz zu bewahren und der leidenden Menschheit nicht zu vergessen, damit auch Gott unser nicht vergisst.“
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Altar in der Liebfrauenkirche Leipzig-Lindenau |
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Kirsch schrieb nicht nur seine Predigten
nieder, er begann auch Tagebuch zu schreiben und
interessierte sich zunehmend für Politik.
Erste Zeitungsartikel wurden von ihm veröffentlicht. |
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Kirschs Tagebücher |
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Im Februar 1919 wurde Ludwig Kirsch zum Expositus (dt.: „Hinausgeschickter“) in den Erzgebirgsort Bärenstein bei Annaberg berufen. Ein Empfang in der Diaspora fand nicht statt. Kein Dekan oder Erzpriester führte ihn feierlich ein. Es gab noch nicht einmal eine Kirche. |
Bärenstein |
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Er selbst ging von Haus zu Haus über die umliegenden Dörfer und stellte sich persönlich seiner neuen Gemeinde vor. In den 5 Jahren seines Wirkens sammelte er die verstreut lebenden Katholiken zu einer aktiven und selbstbewussten Gemeinde. Unter seiner Leitung wurde an der Straße nach Karlsbad - der heutigen B95, die Kirche St. Bonifatius gebaut und geweiht Große Unterstützung erhielt er hier bei seiner Arbeit durch seine Eltern, die von Dresden mit nach Bärenstein umgezogen waren. Im Juni 1919 hatte der Vater sein Gewerbe in Dresden abgemeldet. Ludwig Kirsch wurde in dieser Zeit Mitglied der Zentrumspartei. |
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St. Bonifatius in Bärenstein |
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Heute gehört die Kirche/Gemeinde zur Heilig Geist Kirche in Annaberg |
Kirche in Bärenstein heute |
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Am 1.7.1924 wurde er vom Bischof als Pfarrer nach Reichenbach/Vogtland berufen. Dort gab es nur eine alte Kapelle - ein 1877 dazu umgebautes Wohnhaus Der geplante Kirchbau war wegen des 1. Weltkrieges nicht realisiert worden. Kirsch sammelte Spendengelder für den Kirchbau. Unter seiner Leitung entstanden: 1925 der kath. Gesellenverein,1926 der kath. Begräbnisbund und St. Josephsverein, außerdem ein Pfarrausschuss für alle kath. Vereine. Auch ein Gemeindeblatt „Gott zum Gruß“ rief er ins Leben, welches in jede katholische Familie gebracht wurde. 1926 entstanden eine Gemeindehilfestation und der Caritasausschuss. |
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alte Kirche in Reichenbach |
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Am 13.August 1927 - zum goldenen Gemeindejubiläum - konnte die Kirche durch Bischof Dr. Schreiber geweiht werden. An diesem Tag war gleichzeitig Jubelfeier und Glockenweihe. Außerdem wurde der Bezirkskatholikentag mit 2000 Katholiken zu diesem Anlass in Reichenbach abgehalten.
1927 verstarb sein Vater in Reichenbach. Ludwig Kirschs politische Tätigkeit nahm unter dem Einfluss der Weltwirtschaftskrise, mit ihren verheerenden negativen sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen stetig zu. Ludwig Kirsch entwickelte eigene Seelsorgekonzepte und versuchte, diese auch in der Reichenbacher Gemeinde umzusetzen. In der Zeit des ersten Demokratieversuchs, der Weimarer Republik, prägt er den Satz: „Es genügt nicht, demokratisch zu wählen. Unsere Aufgabe ist es, die Bürger zu Demokraten zu erziehen.“ |
St. Marien in Reichenbach |
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Kirsch begann, als Mitglied der Zentrumspartei politische Artikel in Zeitungen zu veröffentlichen. Das Zentrum trat in Sachsen als „Partei der Sozialreform“ auf und sprach besonders katholische Arbeiterkreise an. Als Landesvorsitzender der Zentrumspartei schrieb er Kolumnen und hielt begeisternde Reden, ohne seinen priesterlichen Dienst zu vernachlässigen. In seiner publizistischen Tätigkeit, insbesondere in der katholischen „Sächsischen Volkszeitung“, bezog Kirsch immer wieder kritisch Stellung zu aktuellen politischen Fragen und unterstützte Anfang der 1930er-Jahre den politischen Kurs seines Parteifreunds Reichskanzler Heinrich Brüning, der mittels Notverordnungen des Reichspräsidenten ein rigides Sparprogramm durchsetzte. In der 1933 beginnenden NS Diktatur wurden auch die Konturen seiner Predigten schärfer. Kirsch führte seine kritische journalistische Tätigkeit nach 1933, auch als Leiter des Presse-Apostolats im Bistum Meißen fort. 1943 wurde er zum Erwachsenenseelsorger im Bistum und zum Bischöflichen Rat ernannt |
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Sächsische Volkszeitung und andere |
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St. Joseph auf dem Sonnenberg |
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Von Anfang an war er an guten Beziehungen zu anderen Gemeinden interessiert. So knüpfte er recht schnell positive Kontakte zu Rüdiger Alberti von der Evangelischen St. Markus Gemeinde und ebenfalls zu Pfarrvikar Gerhard Michael in Ebersdorf. Ein besonders intensives und freundschaftliches Verhältnis hatte er zu Albertis Nachfolger Pfarrer Hellner von St. Markus. |
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Rüdiger Alberti |
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Schon früh hatte Kirsch erkannt, dass fehlende politische Aktivität die Freiheit der Religionsausübung in Sachsen behindert. Deshalb engagierte er sich in seinen Wirkungskreisen auch auf politischem Gebiet. In seiner Gemeinde war er Priester und gleichzeitig Ansprechpartner in politischen Fragen. Er wusste sehr bald in welche Richtung die Politik der Nationalsozialisten gehen sollte und setzte sich aktiv für die Zentrumspartei ein. Durch seine Artikel in der „Sächsischen Volkszeitung“ und seine Predigten geriet er immer mehr ins Visier der Nationalsozialisten. |
Sächsische Volkszeitung |
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Schließlich wurde er am 3. September 1935 von der Gestapo
verhaftet und im KZ Sachsenburg inhaftiert.
Als Häftling Nr. 1648 geführt,
verbrachte er dort einige Monate bis er Weihnachten des gleichen Jahres wieder
freigelassen wurde und in seine Gemeinde nach Chemnitz zurückkehren konnte.
(Das KZ Sachsenburg war ab Mai 1933 unterhalb der Burg Sachsenburg errichtet worden. Anfangs waren die Gefangenen in Räumen der Burg untergebracht, bis sie in die Lagergebäude einziehen konnten.) |
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Sachsenburg |
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Auch andere Chemnitzer Pfarrer wurden in dieser Zeit im KZ Sachsenburg inhaftiert. Pfarrvikar Beyerlein und Pfarrvikar Michael (Stiftskirche Ebersdorf) Pfarrer Rüdiger Alberti (St. Markus) Pfarrer Otto Schulze (Schlosskirche) Pfarrer Schwarz (Hainichen)
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Pfarrer Ludwig Kirsch mit Pfarrer Schwarz aus Hainichen |
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Als Kirsch wieder freigelassen wurde und in seine Gemeinde nach Chemnitz zurückkehren konnte, arbeitete er, von der Haft gezeichnet und unter Polizeiaufsicht stehend, unerschrocken weiter. |
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Gottesdienst in St. Joseph |
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Auch in dieser Gemeinde strebte er wieder Baumaßnahmen an. Im Herbst 1936 wurde der Pfarrsaalbau begonnen und im Frühjahr 1937 geweiht, die Orgel ebenfalls 1937 gebaut. Der durch einen Sturm beschädigte Turm wurde eingerüstet und repariert. Diese Investitionen stellen nicht nur einfach so Baumaßnahmen dar. Wer in Zeiten der Diktatur baut, setzt auch Zeichen. Einen christlichen Versammlungssaal gegen neu errichtete Parteitempel, eine neue Orgel gegen die Goebbelsharfen, |
Bau Gemeindesaal |
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Sehr intensiv kümmerte sich Kirsch um seine Pfarrjugend. Durch seine Arbeit und Lebensweise war er Vorbild für die Gemeinde und vor allem für die Jugendlichen. Viel Zeit hat er mit ihnen verbracht und sich ihrer Probleme angenommen. Zu Jugendlichen der Gemeinde, die sich außerhalb von Chemnitz aufhielten, pflegte er einen intensiven Briefkontakt. Kein einziger der ihm anvertrauten jungen Menschen und auch niemand sonst aus der Gemeinde hat sich den Nationalsozialsten angeschlossen. . |
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Ludwig Kirsch mit der Pfarrjugend |
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Kirsch erlebte den zerstörerischen Angriff auf Chemnitz am 5. März 1945 selbst im Pfarrhaus mit. Er setzte sich sehr für die durch Bomben obdachlos gewordenen Menschen, so wie für die Ostvertriebenen ein. Not und Leid der Betroffenen lindern zu helfen sah er als eine seiner wichtigsten Aufgaben. Er gab den Menschen Obdach, Hilfe und Zuspruch, aber auch die Hoffnung auf ein neues, besseres Leben |
zerstörte Martinstraße auf dem Sonnenberg |
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Mit Kriegsende sammelte er treue Mitstreiter aus der Gemeinde um sich und gründete die CVP (Christliche Volkspartei), welche wenig später in die CDU umbenannt wurde. Auf Betreiben von Ludwig Kirsch persönlich wurde das Kreuz Parteisymbol. Die Gemeindearbeit forderte alle Kräfte. Hunderte verließen in den Kriegswirren und infolge Obdachlosigkeit durch Bombenangriffe die Gemeinde, da sie bei Verwandten anderswo Unterschlupf finden konnten. Vertriebene aus den ehemaligen deutschen Staatsgebieten trafen in Chemnitz ein und suchten eine neue Heimat. 1945 wurde Kirsch Kreisvorsitzender der CDU und 1946 Stadtverordneter. Im gleichen Jahr wählte man ihn in den Hauptvorstand der CDU in der sowjetischen Besatzungszone. |
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Kirsch im Gespräch mit Delegierten |
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Er plädierte für eine Politik des Brückenschlages zwischen Ost und West mit dem Ziel eines geeinten Deutschlands. Das wiederum brachte ihm Konflikte mit der neuen politischen Führung ein. Durch das Sprachrohr der SED, der “Volksstimme“ wurde er von Horst Sindermann ständig attackiert. Ungeachtet dessen arbeitete er in seiner Gemeinde weiter, wurde Landtagsabgeordneter und in den Deutschen Volksrat gewählt. |
der neugewähle Landesvorstand |
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Als Ludwig Kirsch am 22. Januar 1950 starb, hinterließ er nicht nur in seiner
Gemeinde St. Joseph eine große Lücke. Mit seinem Tod hatte das Bistum
Dresden-Meißen einen treuen und engagierten Priester, das Land Sachsen einen
hervorragenden katholischen Politiker und die Ostzone einen entschiedenen
Streiter für die deutsche Einheit verloren. |
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Trauerzug an der Markuskirche |
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Ihm zu Ehren wurde kurz nach seinem Tod die Alexanderstraße an der Kirche St. Joseph in Ludwig-Kirsch-Straße umbenannt. |
Straßenschild |
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Das Grab Ludwig Kirschs auf dem Friedhof an der Reichenhainer Straße |
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Autor: Petra Paus
Bildquellen: 1,13,17,21-24,26-29,31-33 Archiv Ludwig Kirsch (St. Joseph)
2-3,5,6, 9,11,14,18,25, Sammlung Petra Paus
4, 7, 34,35, Fotos Petra Paus
8, Foto Dr. Rudolf Geser
9, Archiv K.D.ST.V. Ferdinandea (Dr. Rudolf Geser)
15, 16, Archiv Liebfrauengemeinde Leipzig Lindenau
19 Archiv Kirche Bärenstein
20 Sammlung Christian Kaißer
30, Sammlung Jürgen Eichhorn