Die illegale Stollenbäckerei von Chemnitz
von Wolfgang Uhlmann
Im April 1853 gründeten Chemnitzer Handwerker – in der Mehrzahl Weber – und Fabrikarbeiter den "Aktienverein für Brotbäckerei". Vorsteher war der Weber Gottlieb Manschwewsky. Der Verein stellte sich das Ziel, "eine Brotbäckerei auf Aktienbasis zu errichten, um für die Mitglieder möglichst billiges und gutes Brot zu erlangen." Voraussetzung für die Mitgliedschaft war der Erwerb einer Aktie von zwei Groschen (ein Groschen = 30 Pfennige). Der Betrag konnte in monatlichen Raten von fünf Pfennigen eingezahlt werden. Innerhalb kurzer Zeit, von Oktober 1853 bis Februar 1854, stieg die Mitgliederzahl von 309 auf über 600. Im Januar 1854 konnten bereits 9412 sechspfündige Brote an die Mitglieder abgegeben werden. Um diese Menge zu bewältigen, wurde neun bis zwölfmal am Tage gebacken. Schon nach kurzer Zeit erwog man, drei weitere Backöfen zu errichten. Während das Brot beim Bäcker für 75 Pfennige verkauft wurde, erhielten es die "Aktionäre" für 72 Pfennige.
So ist es nicht verwunderlich, dass die Chemnitzer Bäckermeister den Verein argwöhnisch beobachteten, entzog er doch ihnen einen Teil ihrer bisherigen Kundschaft. Wiederholt führten sie Klage beim Rat der Stadt. Da sich der Verein aber zunächst streng an seine Statuten hielt, bot sich kein Anlas gegen ihn einzuschreiten. Schließlich erreichten die Meister, dass der Verein kein Brot nach auswärts verkaufen durfte.
Am 23. Dezember 1856 erschien morgens viertelzwei der Polizeiinspektor Rodig in der Aktienbäckerei und stellte fest, dass dort Stollen zum Backen vorbereitet worden waren. Vom Stollenbacken stand aber nichts im Statut! Also kam er nach einigen Stunden mit einem Polizeidiener wieder, um die mittlerweile fertigen Stollen zu beschlagnahmen. Es ist anzunehmen, dass diese Aktion auf Betreiben der Bäckermeister erfolgte. Am Nachmittag des gleichen Tages musste der Vorsteher des Vereins im Rathaus erscheinen. Er erhielt eine Verwarnung und dem Verein wurde eine Strafe von 20 Groschen auferlegt. Erst als diese beglichen wurde, erfolgte die Freigabe der Stollen.
Die Aktienbäckerei bestand noch bis in die siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts. Nach ihrem Vorbild entstanden auch in anderen Orten (z.B. Eibenstock) solche Verbrauchergenossenschaften.