Aus der Not geboren - wie der Werkzeugmaschinenbau nach Chemnitz kam

von Jörn Richter

Mitte des 19. Jahrhunderts wurde Chemnitz zum Zentrum des Werkzeugmaschinenbaus in Deutschland. Große klangvolle Namen Chemnitzer Unternehmer wie Hartmann, Reinecker, Escher, Sondermann, Stier, Diehl, Pfauter, Winkelhofer, Jaenecke, Schönherr und vor allem einer – der am 27. März 1820 im ungarischen Papa geborene Johann Ritter von Zimmermann – zeugen davon. Zimmermann gilt als Begründer des Werkzeugmaschinenbaus in Deutschland. Wie ist er zu dieser Ehre gekommen?

Johann Ritter von Zimmermann, um 1895

Bereits als 12jähriger Gymnasiast mit allerbesten Noten sträubte sich Zimmermann gegen das vom Elternhaus für ihn avisierte katholische Pfarramt. Sein Interesse galt vielmehr der Maschinenfabrik seines Vaters, wo er sich zum Schlosser ausbilden ließ. Als ein solcher Schlossergeselle kam er im August 1841 aus seiner Heimat über Wien, München, Nürnberg und Plauen nach Chemnitz. Eigentlich wollte er weiter nach Dresden und Leipzig reisen. Aber es ermangelte ihm an Geld. So nahm er, wie ein Jahrzehnt zuvor auch Hartmann, in der Hauboldschen Maschinenfabrik eine Arbeit an. Schnell wurde Zimmermann dort Leiter der Abteilung für Spinnmaschinen und Werkführer.

Doch nach drei Jahren in Chemnitz weiter für andere in Lohn zu arbeiten, war nicht seine Sache. Er wollte selbst seine Erfindungen herstellen und auch vermarkten. Am 1. Juli 1844 stieg er in die Zylinderfabrik von Tauscher als sogenannter „Co.“ in Gablenz ein und wurde dort schnell Teilhaber. Diesen Tag bestimmte dann auch der traditionsbewusste spätere Großindustrielle als Beginn seiner Selbstständigkeit. Seit Zimmermanns Eintritt ging es mit der Firma Tauscher & Co. enorm voran. 1846 erhielt Zimmermann das Chemnitzer Bürgerrecht. Man nannte nun die Firma „Zylinderfabrik Tauscher & Zimmermann“. Chemnitz wurde damit wohl die Stadt seiner beruflichen Träume und seines persönlichen Glücks mit Frau und zwei Söhnen.

1847 zog die Zylinderfabrik in ein größeres Gebäude, in die Klostermühle, um. An eben diesem Standort hatte in den Jahren 1841/44 ebenfalls Richard Hartmann mit seinem Companion Götze seine Produktionsanlagen untergebracht. Dieser Standort passte zu Zimmermann, und zeitig erkannte ebenfalls Hartmann Zimmermanns außerordentliche Begabung. Im Jahre 1846 bescheinigte Hartmann ihm: „Mit der Firma Tauscher & Co., mit der wir seit längerer Zeit in Verbindung stehen, habe ich die Wahrnehmung gemacht, dass dies Haus, seitdem Herr Johann Zimmermann sich darin befindet, in seiner Bedienung immer vorzüglicher wurde, was besonders der Geschäftskenntnis des eben genannten Herrn Zimmermann wohl zuzuschreiben steht, daher wäre es im Interesse der Firma sowie derjenigen, die mit derselben in Verbindung stehen, wünschenswert, wenn Herr Zimmermann für immer an dieselbe gefesselt würde. Dies ist meine aufrichtige Meinung.“

Doch Zimmermann ließ sich nicht an Tauscher „fesseln“. Ganz im Gegenteil war er mit seinem „Sozius“, wie er Tauscher nannte, nicht zufrieden. Im schwierigen Revolutionsjahr 1848 ergriff Zimmermann daher zunehmend von Tauschers Initiativlosigkeit genervt den Entschluss ihn auszuzahlen. Tauscher willigte ein, doch bei der Übertragung der Anteile auf Zimmermann soll es zu Unregelmäßigkeiten gekommen sein. Ob es so war oder die Chemnitzer Fabrikanten jetzt erkannten, dass sich hier ein neuer großer Konkurrent breitzumachen drohte, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls schickten sich die Chemnitzer Fabrikanten unter Führung von Richard Hartmann an, Zimmermanns neue Fabrik zu boykottieren, wie es Zimmermann von dem ihm wohlgesonnen Chemnitzer Fabrikanten Constantin Pfaff zugetragen wurde.

„Not macht erfinderisch“, sagt ein altes Sprichwort, hinter dem viel Weisheit steckt. Mit dem Elan des Tüchtigen trotzte Zimmermann seinen Kontrahenten, wie er es seinem Biografen, dem Berliner Landgerichtsrat Albert Ehmcke, mitteilte. Er wollte sich künftig nicht mehr als Zulieferer für andere Fabriken verdingen bzw. von ihnen abhängig machen. Seine Idee war eine sehr große: Er wollte sich auf den Bau ganzer Maschinen konzentrieren. Doch Textilmaschinen- oder gar Lokomotivenbau waren schon hier etabliert. Zimmermann wollte Maschinen produzieren, die es bislang nicht in Deutschland bzw. Kontinentaleuropa gab. So kam er auf die Idee „Hülfs- und Werkzeugmaschinen“ herzustellen. Bis dahin mussten diese ausnahmslos aus dem Mutterland der Industrialisierung, aus England, importiert werden. Obwohl erst 28 Jahre alt, erkannte er hier seine Chance, denn er hatte in seinem bisherigen Berufsleben erfahren, welche Summen man für teure Werkzeugmaschinen aus England ausgeben musste. Sein Plan war ebenso gute Maschinen, aber eben preiswerter als die Engländer, herzustellen. So begab er sich nach England, um dort die neusten Maschinen kennen zu lernen. Um sich überall Zutritt zu verschaffen, kaufte er dort selbst Maschinen ein. So mit den neuesten Errungenschaften auf dem Gebiet des Werkzeugmaschinenbaues bekannt geworden, kehrte er nach Chemnitz zurück. Obwohl es damals noch keine Patente gab, glänzte Zimmermann nicht einfach mit dem Nachbau der Maschinen, sondern durchweg mit innovativen Neuerungen seiner Produkte. Hierbei kam ihn seine schnelle Auffassungsgabe sowie sein technisch-zeichnerisches Talent zugute. Seine neuen Maschinen waren Drehbänke, Bohrmaschinen, Blechscheren und Holzbearbeitungsmaschinen. Das Sortiment erweiterte sich schnell auf Blechbiegemaschinen, Dampfhämmer, komplette Einrichtungen für Eisenbahnwerkstätten, Sägen für architektonische Verzierungen für Baufabriken, hydraulische Pressen, Parallelschraubstöcke usw.

So ging es ab 1848 bei Zimmermann nun richtig aufwärts, berichtete ein anderer Biograf, der Stadtarchivar Prof. Paul Uhle. Schnell wurde es für seine Fabrik in der Klostermühle zu eng. 1852 kaufte er an der Rochlitzer Straße die alte Gehrenbecksche Färberei und zog 1854 in das neu errichtete, damals hoch moderne Fabrikgebäude mit einer Galeriehalle und fahrendem Laufkran. Das war zu jener Zeit einmalig für Chemnitz. Den Wert dieser Anlage bezifferte er 1855 mit 35.241 Talern. 1867 vergrößerte er diesen Fabrikkomplex noch einmal in Richtung zur Mühlenstraße. Aber auch diese Erweiterungen reichten schon bald nicht aus. Da ihm die Grundstückspreise um diesen Standort zu hoch waren, aber wahrscheinlich eher, weil er für seine Fabrik einen Gleisanschluss benötigte, errichtete er an der Ecke Blankenauer-, Emilienstraße 1874 auf dem fast 100.000 qm großen „Roten Vorwerk“ eine große Eisengießerei und neue Fabrik für Holzbearbeitungsmaschinen.

Maschinenfabrik Zimmermann an der Rochlitzer Straße, um 1855

Wenn Zimmermann Mitte der 1850er Jahre ca. 250 Arbeiter in der Rochlitzer Straße beschäftigte, so stieg deren Zahl bis Anfang der 1870er Jahre auf über 1000. Spätestens ab den 1860er Jahren wurde er mit Aufträgen überschwemmt, dass er, wie Berichte der Handels- und Gewerbekammer ausführten, gar nicht alle annehmen konnte. 1868 war im Jahresbericht der Kammer über Zimmermann zu lesen: „Bei der größten Werkzeugmaschinenfabrik in Chemnitz war der Geschäftsgang das ganze Jahr ein höchst flotter, mit Anfragen und Aufträgen fast überhäuft. Von derselben sind in dem genannten Jahre für mehr als eine halbe Million Taler Werkzeugmaschinen geliefert worden, wovon ca. 25 Prozent nach Deutschland versendet, die übrigen 75 Prozent dagegen für den Export (u.a. Rußland, Österreich, Ungarn, England, Südamerika JR) verblieben.“ 1868 belief sich Zimmermanns Jahresproduktion auf eine halbe Million Taler, bis 1872 verdoppelte sich diese Summe. Bis zum Jahr 1872 hatte die Firma 11.000 Maschinen ausgeliefert.

Mit der Reichsgründung und dem Gründerboom wandelten sich zahlreiche Fabriken in Aktiengesellschaften um. An diesem Prozess nahm auch Zimmermann teil. 1871 wurde aus der „Maschinenfabrik Zimmermann“ die „Chemnitzer Werkzeugmaschinenfabrik vormals Zimmermann-Werke AG“ mit einem Stammkapital von 2 Mio. Talern. (Ein Taler von 1914 hat heute einen Kaufwert von fast 50 Euro). Zimmermann mit dem größten Aktienanteil blieb bis zu seinem Ausscheiden 1878 Chef und Generaldirektor dieser Aktiengesellschaft.

Für große Aufmerksamkeit sorgte Zimmermann auf den bedeutenden Industrieausstellungen seiner Zeit. Zum ersten Mal führte er der Welt 1850 in Leipzig seine Werkzeugmaschinen vor Augen und wurde mit einer „Silbernen Medaille“ geehrt. 1852 war er auf der „Erzgebirgischen Industrie- und Gewerbeausstellung“ in Chemnitz auf dem Schillerplatz zur „Verherrlichung der Gewerbetätigkeit und Maschinenindustrie“ angetreten. 1854 stellte er in München aus und erntete „belobende Anerkennung“. Einen durchschlagenden Erfolg feierte er auf der Londoner Weltausstellung 1862. Darauf hatte er sich zwei Jahre vorbereitet, um nicht hochmütig aber mit Verstand der Welt zu zeigen, dass er bessere Werkzeugmaschinen als die Engländer bauen konnte. Die Engländer waren entsetzt aber fair. Zimmermann erhielt die „Große Goldene Medaille" zugesprochen. Der in der Preisjury waltende Sir Joseph Withworth (1803-1887) aus Manchester, damals weltweit die erste Autorität auf dem Gebiet des Werkzeugmaschinenbaus, lobte Zimmermann mit den Worten: „Wir fanden keine schöneren und besseren Modelle als die Ihrigen, darum nehmen wir sie uns zum Muster.“ Fünf Jahre später, 1867 zur Weltausstellung in Paris, bekam er als einziger Werkzeugmaschinenbauer den Ersten Preis und die „Große Goldene Medaille“ zuerkannt. Napoleon III. verlieh ihn das Ritterkreuz der Ehrenlegion, und die Académie Nationale in Paris ernannte ihn zu ihrem Ehrenmitglied. Doch auch in der Heimat bekam Zimmermann Anerkennung. 1864, zum 20. Jahrestag seiner Selbstständigkeit, besichtigte der sächsische König Johann seine Fabrik. Drei Jahre später verlieh er Zimmermann das Ritterkreuz 1. Klasse des Albrechtsordens und 1869 ernannte er ihn zum Kommerzienrat, später zum Geheimen Kommerzienrat. 1873 zur Weltausstellung in Wien erhielt er den Österreichischen Orden der Eisernen Krone. Schon in der Fachwelt geadelt, wurden er und seine Nachfahren in den erblichen Adelsstand aufgenommen.

Zimmermann´sche Heilanstalt, Parkstraße, um 1895

Heute sind in Chemnitz keine Fabrikgebäude mehr vorhanden, die an die Ära Zimmermann erinnern.  Auf dem Grundstück an der Mühlenstraße befindet sich jetzt das Stadtbad, und an Emilienstraße wurde nach der Wende an der neu angelegten Christian-Wehner-Straße die Partner-Werkstatt für behinderte Menschen der Stadtmission Chemnitz e. V. erbaut. Doch existieren in Chemnitz noch viele weltweit agierende Werkzeugmaschinenbauunternehmen sowie international anerkannte Forschungseinrichtungen. Doch einige Zeitzeugnisse des Zimmermann´schen Wirkens finden wir heute noch vor.

Auf dem Kapellenberg an der Parkstraße sind im dortigen Areal des ASB noch bauliche Fragmente der 1945 zerstörten Zimmermann´schen Heilanstalt vorhanden. Nach ihn überzeugenden Erfahrungen, die er während der Krankheit seiner Kinder mit der Wasserbehandlung gemacht hatte, wollte Zimmermann diese Naturheilverfahren auch anderen Menschen zugutekommen lassen. 1868 gründete er den ersten Naturheilverein Deutschlands. Es folgten bald 100 solcher Vereine und der Hauptverband zählte bald 18.000 Mitglieder. Sein Engagement für die Naturheilkunde krönte Zimmermann 1886 mit der Übergabe des Sanatoriums an der Parkstraße, erbaut im Stil der Neorenaissance wie eine Schlossanlage und stattete die Stiftung zusätzlich mit weiteren 500.000 Mark (heute ca. 1,5 Mio. Euro) aus.

Zimmermann´sche Villa, bereits als Hotel Carola genutzt, um 1895

Das noch bestehende architektonische Kleinod ist die Zimmermann´sche Villa. Der faszinierende Sandsteinbau ist das einzige Bauwerk dieser Art in Chemnitz. Geschaffen von 1865 bis 1867 im Stil der englischen Neugotik durch den Hannoveraner Architekten Otto Goetze (1832-1894), bezaubert es jetzt nach der vorbildlichen denkmalgerechten Sanierung mit seinen Balkonen, Türmchen, Kreuzblumen, Kraggen und seiner reichen Bildhauerei.

Nach dem Ausscheiden aus der Aktiengesellschaft 1878 siedelte Zimmermann nach Berlin über. Hier genoss er seinen Lebensabend und verbrachte standesgemäß viel Zeit in Baden-Baden. Am 2. Juli 1901, vor 120 Jahren, verstarb Johann Ritter von Zimmermann. Der Chemnitzer Ehrenbürger wurde auf dem Städtischen Friedhof in der noch heute beindruckenden Grabanlage neben seiner ersten Frau beigesetzt.


Buchtipp:

Werkzeugmaschinenbau in Sachsen. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Hrsg. Prof. Naumann, Prof. Neugebauer im Auftrag des Kompetenzzentrums Maschinenbau Chemnitz/ Sachsen e. V., Verlag Heimatland Sachsen, Chemnitz 2003.

 
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