50 Jahre Karl-Marx-Monument
von Andreas Hütter
In diesen Tagen begehen wir den Jahrestag der 50. Wiederkehr der Einweihung des Karl-Marx-Monumentes auf der Chemnitzer Brückenstraße. Ein Rückblick auf die Entstehung und Baugeschichte:
Bereits im Juli 1958 wurde auf dem V. Parteitag der SED die Neugestaltung der Stadtzentren auf dem Gebiet der damaligen DDR beschlossen. Mit den Neuaufbau und der Rekonstruktion wurde auch für das 1953 umbenannte Chemnitz die größte Umgestaltung in der langen Geschichte eingeleitet. Der große Raum zwischen Rathaus, Brückenstraße, Straße der Nationen und der Wohnbebauung an der Wilhelm-Pieck-Straße (Theaterstraße) sollte den eigentlichen Mittelpunkt darstellen. Diesen bildete im ersten vorgelegten Entwurf 1961 ein zentraler Platz mit dem Haus der Kultur und Wissenschaften und einem Hotel.
Karl Joachim Beuchel, langjähriger Stadtbaudirektor in Karl-Marx-Stadt, erinnert sich:
„Auf diesem Platz war ein Monument in Form eines stehenden Karl Marx und einer ständigen Tribüne am Haus der Kultur und Wissenschaft vorgesehen. Dies ergab städtebaulich aber keinen Sinn. Als Mitte der 1960er-Jahre entschieden wurde, anstelle des Hauses der Kultur und Wissenschaft ein Hotel mit Stadthalle zu bauen und anstelle des Granitplatzes einen Park anzulegen, musste auch für das Marx-Denkmal ein neuer Standort gefunden werden. Als wir eine Attrappe der elf Meter hohen überlebensgroßen Standfigur vor dem heutigen Rawema-Haus platzierten, war klar, dass das nicht funktioniert. Der Betrachter befand sich in Höhe der Schuhe von Marx und den Kopf des Denkers nahm er als kleine Kugel wahr….“ (FP, 11.05.2021)
Die ehrgeizigen Pläne zur Neugestaltung des Stadtzentrums wurden auch dahingehend geändert, das jetzt die Brückenstraße als Aufmarschplatz vorgesehen war und dabei das Monument vor dem Haus der Partei- und Staatsorgane zum Stehen kommen sollte.
Bereits 1966 - der Auftrag dazu von der Regierung der DDR vergeben - war dem sowjetischen Bildhauer Lew Kerbel die Aufgabe gestellt worden, Entwürfe für das Monument zu erarbeiten. Mit 20 Entwürfen kam er Ende April/Anfang Mai 1968 zu einer Podiumsdiskussion nach Karl-Marx-Stadt. In der Stadtverordnetenversammlung am 7. Mai 1968 im Speisesaal des VEB Großdrehmaschinenbaus „8. Mai“ wurde schließlich der von einer Kommission vorgelegte Entwurf zur Ausführung beschlossen. „Auf einem über vier Meter hohen Postament befindet sich – in Bronze gegossen - ein sechs Meter hoher Kopf von Karl Marx, gleichsam die weltveränderte Kraft der Marxschen Ideen demonstrierend.“ Der Plan sah vor, den Grundstein für das Monument am 20. Jahrestag der DDR zu legen.
Am 3. Oktober 1969 wurde im Beisein des 1. Sekretärs der SED-Bezirksleitung Karl-Marx-Stadt, Paul Roscher, der feierliche Akt der Grundsteinlegung für das Haus der Staatsorgane und das Monument vorgenommen.
Im Februar 1971 weilte eine Kommission aus der DDR in Moskau in Kerbels Werkstatt, um den Entwurf des Denkmals abzunehmen. Gegenüber der „Prawda“ äußerte der mitgereiste Oberbürgermeister der Stadt, Kurt Müller, dass Lew Kerbel und mit ihm zusammen Architekten Karl-Marx-Stadts ein hervorragendes Ensemble geschaffen habe.
Anfang März waren die Arbeiten für das maßgerechte Tonmodell beendet. „Das Bronzemonument wird eine Höhe von 7,20m haben. Für den Künstler beginnt nun eine neue Arbeitsetappe. Das Modell wird in 113 Stücke zerlegt, dann in Gips und anschließend in Bronze gegossen. Die Teile werden dann zusammengeschweißt und - nach entsprechenden Korrekturen Kerbels für den Transport in die DDR wiederum in zehn große Blöcke zerlegt.“ schrieb das „Neue Deutschland“ am 5. März 1971
Die Berliner Zeitung veröffentlicht am 13.April 1971 folgenden Artikel:
„Das besondere Interesse der Karl-Marx-Städter beim Neuaufbau ihres Stadtzentrums findet in diesen Tagen die Fassade am Haus der Staatsorgane, das in Kürze übergeben wird. In der Mitte dieses neungeschossigen Neubaus wurden jetzt auf einer glatten Wandfläche von fast 350 Quadratmetern Metallplatten mit dem berühmten Schlußsatz aus dem Kommunistischen Manifest ‚Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!‘ montiert. Dieser Schnittspiegel in deutscher, russischer und französischer Sprache bildet den Hintergrund für das zwölf Meter hohe Karl-Marx-Monument..., die repräsentative Wandgestaltung ist das Werk des Diplomgrafikers Heinz Schumann und des Bildhauers Volker Beier. ‚Nur durch die gute kollektive Arbeit von Prof. Lew Kerbel, den Architekten, dem Auftraggeber und einem großen Kollektiv von Gestaltern und uns konnte es zu solch einem künstlerischen Ensemble kommen‘, betonten die jungen Karl-Marx-Städter Künstler.“
Im August 1971 war die Büste im Leningrader Werk „Monumentalskulptur" fertig gegossen worden, am 26. August trafen die ersten 60 Gussteile im damaligen Karl-Marx-Stadt ein. Drei weitere LKW mit dem Rest wurden noch erwartet. Eile war geboten, der geplante Termin der Einweihung am 7. Oktober rückte näher. Neun „Sowjetische Spezialisten“ begannen am 2. September mit der Montage. Zunächst wurde auf das 4 m hohe Postament ein Stahlgerüst gesetzt, an dem die nun 95 Einzelteile mit Stahlbolzen befestigt wurden. Anschließend sollten die Nähte verschweißt und ziseliert werden. Sie kamen jedoch mit Ihrer Technik bald an Ihre Grenzen. Eilig wurden Schweißer aus dem VEB „Germania“ herbeigerufen, die die Schweißarbeiten in 2 Schichten bei Wind und Wetter erledigten.
Am 14. September erfolgte in Anwesenheit Lew Kerbels die Vorabnahme, und am 28. September konnte die vorfristige Fertigstellung durch das deutsch-sowjetische Montageteam verkündet werden. Anschließend wurden noch bis zur offiziellen Übergabe der Sockel aus ukrainischem Granit und die Außenanlagen vollendet.
Die ganze politische Prominenz der DDR hatte sich am 9. Oktober 1971 auf der Brückenstraße versammelt, um das Karl-Marx-Monument vor (angeblich) mehr als 250.000 Menschen einzuweihen. In den Reden wurden immer wieder die marxistisch-leninistischen Ideen gewürdigt und schließlich das Denkmal der zur „Stätte sozialistischen Lebens“ deklarierten Stadt übergeben. Mit einem Volksfest in der Innenstadt wurden die Feierlichkeiten beendet. 1980 wurde der „Nischel“ auf die offizielle Denkmalliste gestellt.
Jahrzehnte bildete das Ensemble den Hintergrund für die alljährlichen Feierlichkeiten der DDR. Am 1. Mai demonstrierten die abgestellten Arbeiter der Großbetriebe und am 7. Oktober wurde mit einer ebensolchen Kundgebung der Jahrestag der Gründung der DDR gefeiert. Im Wendeherbst 1989 trafen sich dann genau an diesem Platz jeden Montag die Reformer.
Nach der politischen Wende rückte ab 1990 auch das Monument kurzzeitig in den Fokus öffentlicher Diskussionen. Einige Radikalreformer hätten das Bauwerk am liebsten gleich gesprengt. Andere wollten das Ganze verkaufen. Doch diese wurden bald besänftigt, bildete doch der Kopf einen aus Tourismussicht wichtigen Bestandteil des neuen Chemnitz. Selbst in den Entwürfen zur Neugestaltung der Chemnitzer Innenstadt namhafter deutscher Architekten wurde der alte Marx an seinem jetzigen Platz belassen.
Und das hat sich bis heute gut bewährt. Für Touristen ist er die Attraktion, für Künstler ist er - meistens zwiespältig betrachtet – Objekt der Verwandlung und Verunstaltung. Denn eines sollte immer bedacht werden: Es ist ein Denkmal, wenn es auch einen Abschnitt sozialistischer Ideologie widerspiegelt, und ein Stück Stadtgeschichte. Als Denkmal sollte es entsprechend gewürdigt werden, gepflegt und nicht für ideologische Gedankenspiele und „Kunstaktionen“ missbraucht werden.
(Quellen: u.a. diverse Zeitungsausschnitte „Neues Deutschland“ und „Neue Zeit“ zu finden unter www.zefys.de, der „Freien Presse“ und weitere Publikationen aus Karl-Marx-Stadt)