Das vergessene Denkmal
Eine kleine schlichte Büste, deren Geschichte die meisten Chemnitzer selbst nicht kennen, möchte ich in diesem Beitrag vorstellen. Lange Zeit stand sie unscheinbar in den Grünanlagen am damaligen Neustädter Markt (heute: Theaterplatz) schräg vor dem Gasthaus „Zur Linde“. Man kann es zurecht als früheste öffentliche Ehrenstatue der Stadt Chemnitz bezeichnen, denn erst anderthalb Jahrzehnte später wurde das Denkmal für Christian Gottfried Becker vor dem alten Rathaus errichtet.

Das Vater-August-Denkmal

von Andreas Hütter

Den Anlass zu ihm selbst gaben die hohen Verdienste, die der 1553 zum Kurfürsten ernannte August von Sachsen (geb.1526, gest. 1586) um Chemnitz hatte. Er war es, der durch besondere Verträge das Chemnitzer Bleichereimonopol im 16. Jahrhundert ausgebaut hatte, dem Chemnitzer Handel zu neuem Aufschwung und dem einheimischen Gewerbefleiß zu seiner späteren Blüte verhalf.

Zur 300-jährigen Wiederkehr eines Festschießen, das am 14. September 1556 unter Beteiligung des Kurfürsten auf dem damals als Schützenplatz benutzten „Anger“ in Chemnitz veranstaltet wurde, gab die Privilegierte Schützengesellschaft der Stadt die Büste in Auftrag.

Der Entwurf für das Denkmal stammte von Ernst Rietschel, einem der bedeutendsten deutschen Bildhauer des Spätklassizismus, der unter anderem auch das Goethe-Schiller-Denkmal in Weimar schuf. Gegossen wurde die Büste aus Kanonengut 1856 hier in Chemnitz nach dem Modell in der Hartmann‘schen Maschinenfabrik, in der Firma von Ernst Kirchhoff anschließend ziseliert und brüniert.

Das Postament war eine viereckige essenkopfartige Säule aus roten polierten Meissner Granit, 1,46 m hoch 0,58 m breit und 0,4 m tief, die auf einem 0,36 m hohen Sockel aus dem gleichen Material ca.0,7 m im Quadrat stand. Die Büste selbst war ca. 46 cm hoch und 30 cm breit.

Lage des heutigen Theaterplatzes um 1760 mit "Vogelstange"

Auf der Hauptansichtsseite der Säule stand in vergoldeten Lettern „Dem Churfürsten Vater August die noch heute dankbare Stadt Chemnitz“. Neben dieser Inschrift existierte an der Rückseite eine zusätzliche Metalltafel mit folgendem Text: „1556 den 14. September nahm Churfürst August von Sachsen an dieser Stelle an dem Festschießen der Bruchschützen Theil. Zur Erinnerung daran und an die großen Verdienste dieses Fürsten um die Stadt Chemnitz ward dieses Denkmal gegründet den 27. August 1856.“

Zur Grundsteinlegung an jenem Augusttag hatten sich morgens 10 Uhr zahlreiche Eingeladene, darunter Vertreter sämtlicher Behörden und Kollegien der Stadt, die Geistlichkeit, Offizierskorps und 2 Staatsminister, auf dem mit beflaggten Säulen und laubgeschmückten Stangen abgegrenzten Areal am Anger eingefunden. Mit einem Festzug, bekleidet von beträchtlichen Menschenmassen, erreichten die Schützen verschiedener, auch auswärtiger, Abteilungen den Platz. Nach mehreren Ansprachen, u.a. vom damaligen Bürgermeister Müller, wurden, ergänzt von Militärsalven und Parademärschen, eine Kupferplatte und mehrere Münzen in den Grundstein gelegt und mit 3 Hammerschlägen die besten Wünsche ausgesprochen. Ein von Bürgermeister Müller auf Se. Majestät König Johann ausgebrachtes mit unendlicher Begeisterung wiedergegebenes dreifaches Hoch bildete den Schluss der vom Wetter begünstigten Feier.

Stadtplan von 1865 (Ausschnitt)

Am 18. August 1857 konnte die feierliche Einweihung vorgenommen werden. Um 7 Uhr früh war die Enthüllung des Denkmals angesetzt, es regnete in Strömen. In der Festschrift zur Rathausweihe 1911 heißt es dazu: „Ein Bataillon der Garnison mit dem ganzen Musikkorps aller 3 Chemnitzer Bataillone und das Bürgerschützenkorps mit besonderer Musik besetzten den Platz, in dessen Mitte sich die Vertreter der königlichen und städtischen Behörden, die an der Gründung des Denkmals ganz hervorragend beteiligten Bruchschützen und andere Geladene Aufstellung genommen hatten. Unter dreifacher Salve und tausendstimmigem Hoch auf den König fiel nach einer Weiherede des Bürgermeisters Müller die Hülle des ersten Chemnitzer Denkmals“.

Neustädter Markt (heute Theaterplatz), 1898, Blickrichtung Südwesten, vorne die heutige Straße der Nationen

1860 /1861 sind der Neustädter Markt mit dem daran anstoßenden Schillerplatz der Stadt zum Schmuck geschaffen worden, das Denkmal säumte die südwestliche Seite nahe der Königsstraße, wie der Kartenausschnitt von 1865 zeigt. 1886 wird über fehlende Buchstaben an der Vorderseite des Denkmals geklagt, die genauso wie 1935 erst nach Eingaben und Hinweisen von Privatpersonen ersetzt wurden. Ab 1899 nimmt man auch die zyklische Reinigung der Stadtdenkmäler in den städtischen Haushaltsplan mit auf. Bis zum 1.Weltkrieg werden alle 3 Jahre neben der Vater-August-Denkmal auch der Saxoniabrunnen, das Beckerdenkmal und das Siegesdenkmal an der Theaterstraße gereinigt. Nach dem 1. Weltkrieg steht dafür kein Geld mehr zur Verfügung.

Im Juli 1941 wurde die Büste abgebaut und dem Museum für Stadtgeschichte (der Vorgänger des Schloßbergmuseums) zugeführt. In diesem Jahr lief die reichsweite Erfassungsaktion aller Gegenstände aus Buntmetall, um sie der Kriegsrüstung zuzuführen. Einige stadtbildprägende Monumente, beispielsweise der Saxoniabrunnen, wurden in diesem Zusammenhang demontiert und ab Januar 1942 begann auch der Ausbau der Bronzeglocken von den Türmen der Chemnitzer Kirchen. Wahrscheinlich wurde auch die August-Büste eingeschmolzen, sicher belegen kann es das Museum momentan nicht. Es ist nachweisbar, dass die Kunstsammlungen seit 1940 eine ganze Reihe von Objekten – von haustechnischen Einrichtungen bis hin zu Sammlungsgut (z. B. dem Zinnbestand) – für diesen Zweck zur Verfügung gestellt haben. Auch für das Schloßbergmuseum sind ähnliche Vorgänge bekannt.

Königsplatz (heute: Theaterplatz), 1913, Blickrichtung Osten

Vor 165 Jahren wurde das Denkmal seiner Bestimmung übergeben. Schade, dass es wie manch anderes verschwundenes Chemnitzer Denkmal heute weitgehend vergessen ist, zumal die Stadt, im Hinblick auf die Nachhaltigkeit Ihrer angestrebten Projekte zur Kulturhauptstadt, auch hier sicher mehr tun könnte.

(Quellen: Dresdner Journal August 1856/57 und weitere Zeitungsausschnitte, zu finden unter SLUB-Dresden.de; Beitrag von E.Wienhold in „Chemnitz und Umgebung“ 1906; Allg. Zeitung Chemnitz vom 28.07.1941; Festschrift zur Rathausweihe 1911 u.a. – Dank auch an Dr. Stefan Thiele; Kurator Kunstgeschichte im Schloßbergmuseum Chemnitz, für die Unterstützung)

 
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